„Ich selbst habe von Arch. Loos nur ein Speisezimmer in Brünn, Lehmstätte 39/41 einrichten lassen und zwar mit Marmorvertäfelung, eingelassenen Bildern und einer Marmorkredenz, doch ist der betreffende Raum noch nicht fertig; es ist der Fussboden noch nicht gelegt und es fehlen noch die Möbel, so dass Ihnen mit diesem Objekt wohl kaum gedient sein dürfte.“ Brief von Viktor Bauer jun. an Anton Schroll vom 11. 6. 1930, Dagmar Černoušková, Zámeček na výstavišti. K úpravám starobrněnského zámečku Viktora Bauera, in: Jindřich Chatrný – Dagmar Černoušková (Hgg.), Brněnské stopy Adolfa Loose, Brno 2010, S. 67–70, zit. s. 69.
Das Marmorspeisezimmer ist direkt neben dem Damenschlafzimmer im ersten Stock der am besten erhaltene Raum des Bauer-Schlosses und illustriert anschaulich die Arbeitsweise von Adolf Loos, und zwar auch obwohl es auch nie fertiggestellt worden war. Den Architekten charakterisiert vor allem die Marmorverkleidung und die darin eingebauten Bilder, der antikisierende figurale Fries, die Einbaumöbel, der verwendete Beleuchtungstyp und allgemein auch die Betonung der Symmetrie.
Das markanteste Element des geräumigen Saales, der mit einem Vorhang in einen Salon mit Einbausofas und in ein Speisezimmer unterteilt wurde, ist die Verkleidung aus grünem, Cipollino genanntem Marmor mit deutlicher weißer Maserung. Den gleichen Steintyp verwendete Loos auch in der Wohnung der Eheleute Kraus in Pilsen (1930–1931). Die Marmorierung wurde dicht unter der Decke ihren gesamten Umfang entlang von einem Figurenfries abgeschlossen, der das antike Motiv der Bacchanalien aufwies. Der Architekt hat dieses Motive bereits früher sowohl in öffentlichen Räumen (Café Capua, Wien, 1913), als auch in Privatresidenzen (Villa Duschnitz, Wien, 1915–1916) und in Wohnungen (Wohnung von Arnold und Julia Bellak, Wien, 1907) verwendet, und zwar immer in Räumen, die mit Beköstigung und Gastlichkeit zusammenhingen.
In der Gesamtkonzeption des Saales ist die Betonung der symmetrischen Komposition auffällig, und zwar sowohl im Falle der Anordnung der Einbauvitrinen um die marmorne Anrichte, als auch des an den Seiten des Haupteingangs integrierten Blumenstilllebens. Die Stirnseite des Raumes wurde von einem großformatigen Ölgemälde dominiert, das ebenfalls in die Verkleidung eingelassen war. Dabei handelte es sich um das manieristische Gemälde Die Feier im Wald (1608) aus dem Schloss in Kunín, das Viktor Bauer jun. nach dem Tode der Eltern geerbt hatte. Unter dem Bild befand sich ein mit Cipollino umrahmtes langes Einbausofa, dessen Pendant auch in eine flache Nische unter dem zum Garten gerichteten Fenster eingepasst wurde.
Nach erhalten gebliebenen zeitgenössischen Fotografien aus der Zeit als Bauer noch lebte gab es nur einen provisorischen Fußboden, der aus grob bearbeiteten Brettern bestand. Unter den Fenstern im Speiseteil befanden sich aber bereits im Fußboden installierte rechteckige Blumenkübel, die mit grünem Marmor verkleidet waren. Dieses Prinzip wurde auch im Zwischenstockwerk der Treppenhalle und beim Geländer des Flurs im ersten Stock wiederholt.
Einen wichtigen Bestandteil der Interieurs von Adolf Loos stellte die Beleuchtung dar. In Bauers Speisezimmer verwendete der Architekt gleich mehrere Typen. Über dem Gemälde im zentralen Teil befindet sich eine eingebaute Deckenbeleuchtung aus Milchglas, und zwar über die gesamte Breite der Nische. Der Bereich über beiden Sofas soll von zwei Zuglampen beleuchtet worden sein. In dem näher zum Eingang gelegenen Teil des Raumes waren zwei Leuchter in Form von einfachen, von einem goldenen Reliefband gerahmten Milchglasscheiben an Metallketten installiert. Den letzten Leuchtkörpertyp stellen dreiarmige elektrische Messingkerzenhalter in Form von Schwänen dar, von denen zwölf Exemplare direkt in die Steinverkleidung installiert wurden. Demselben Typ dieser vom Stil Ludwig XVI. inspirierten Wandlampen begegnen wir in der Pilsner Wohnung von Dr. Josef Vogl (1908) oder in der bereits erwähnten Villa Duschnitz und in der Wohnung der Brüder Bellak in Wien. Im Jahr 1930 erhielt der Besitzer des Schlosses Viktor Bauer jun. einen Fragebogen des Wiener Verlegers Anton Schroll, den dieser an Loosens Bauherren verschickte, um Unterlagen für eine vorbereitete Monographie zu bekommen; Bauer antwortete jedoch, dass das Marmorspeisezimmer noch nicht fertig sei und verwies Schroll an den Direkter der Zuckerfabrik Ottokar Skalník, der die Dokumente zu Loosens Villa in Hrušovany habe. Die Entstehung von Loosens Saal können wir trotzdem zuverlässig in die Jahre 1922 und 1923 datieren. Der Besitzer des Schlosses Viktor Bauer jun. hat nämlich die Fotografien des Raumes in seinem Fotoalbum mit der Beschriftung versehen: „Unser bisher nicht eingerichtetes Speisezimmer in Altbrünn – ein Werk des Architekten Loos (1922/1923). Februar 1934.“ Zu diesem Zeitpunkt war der Architekt Loos bereits fast ein halbes Jahr lang verstorben.
JK