Der sozialistische Realismus hat fast bis zum Ende der fünfziger Jahre das Aussehen vieler Städte geformt. In den Hüttenindustriestädten machte er sich mit größerer ideologischer Rasanz bemerkbar, in Brünn in abgeschwächterer Form dann in Gestalt historisierender Einheiten mit kleinen dekorativen Elementen. Seine Aufgabe war es, die Ideologie des neuen Gesellschaftssystems in verständlicher Form zu vermitteln, wozu der Historismus mit Elementen der nationalen Volkstraditionen ideal gedient hat.
Das in den Jahren 1956–1957 nach dem Entwurf des Architekten Miroslav Dufek errichtete freistehende zweigeschossige Wohnhaus in der Straße Venhudova ist ein typisches Musterbeispiel für den in der Brünner Umgebung umgesetzten sozialistischen Realismus. Das Objekt verweist mit seinem Charakter auf den Typ der Villenmietshäuser aus der Vorkriegszeit. Es wurde in ein abschüssiges Gelände gesetzt und ergänzt den Wohnhäuserblock an den Straßen Merhautova und Tišnovská.
Die Fassade des Hauses wird durch den regelmäßigen Rhythmus der mit profilierten Fenstereinfassungen verzierten Doppelfenster gegliedert, die im ersten und zweiten Stock darüberhinaus von rechteckigen Fensterbrüstungsplatten ergänzt werden. Über dem Haupteingang hebt sich das rechteckige Sgraffito einer Hausmarke mit dem mythologischen Motiv eines zur Hälfte die Medusa und zur Hälfte die Sonne darstellenden Gesichtes als Beschützersymbol des beständigen und unendlichen Lebens ab. Im Kontext der Zeit, in der es geschaffen wurde, ist es eine Einzelerscheinung. Um die Bautätigkeiten zu beschleunigen und zugleich die Idee des sozialistischen Realismus zu bewahren, hat man in vielen Fällen zu dekorativen Fertigbauelementen gegriffen, die direkt am Bau gegossen wurden. Nur in Ausnahmefällen wurden die zeitlich und finanziell viel aufwendigeren Sgraffiti als Verzierungsform verwendet. Gebräuchlicher war dann die Verwendung von Keramikverkleidungen oder Sandsteinreliefs.
Das Wohnhaus im Brünner Stadtteil Černá Pole ist eines der letzten Beispiele, bei denen noch die politische Ideologie in den Ausdruck der Bauten eingegriffen hat. Mit Chruschtschows Kritik des Stalinismus begannen die Architekten den sozialistischen Realismus aufzugeben, auch der technische Fortschritt war nicht aufzuhalten und es begann eine neue Etappe des Bauens, die bereits in einem rein rationalen wirtschaftlichen Geiste getragen war und die lang andauernde Wohungskrise schließlich lösen sollte.
LH
Wohnhaus Venhudova
Name
Wohnhaus Venhudova
Datierung
1956 – 1957
Architekt
Miroslav Dufek
Kode
D040
Typ
Mietshaus
Adresse
Venhudova 1621/12,
(Černá Pole), Brno, Sever
Öffentlicher Verkehr
Venhudova (TRAM 5)
Venhudova (BUS 92)
GPS
49°12'44.3"N 16°37'33.2"E
Literatur
Renata Vrabelová (ed.),
Brno. Architektura / Architecture. 1945–1990,
Brno 2009, S. 249
Rostislav Koryčánek,
Brno město veletrhů,
Na prahu zítřka. Brněnská architektura a vizuální kultura období socialismu / On the Threshold of Tomorrow. Architecture and Visual Culture in Brno during the Communist Era,
Brno 2014, S. 17–56
Radomíra Sedláková,
Sorela: Česká architektura 50. let (kat. výst.),
Praha 1994