„Die Schule ist ein unvermeintliches Übel. Adolf ist ein schlechter Schüler. Er ist nicht dumm, nicht ungezogen, aber er ist nicht interessiert an all der Weisheit, die Lehrer und Erzieher vor ihm ausbreiten. Er sitzt in sich versunken da und denkt an seine Welt.“
Elsie Altmann-Loos, Mein Leben mit Adolf Loos
Adolf Loos war ein schlechter Schüler. Im Schuljahr 1880/1881 besuchte er in Brünn das deutsche Knabengymnasium (Zweites deutsches k.k. Staatsgymnasium), das in den Jahren 1871–1883 im Gebäude des Alten Landeshauses, dem heutigen Neuen Rathaus am Dominikanerplatz seinen Sitz hatte. Die miserablen schulischen Leistungen haben seine Mutter offensichtlich dazu veranlasst, ihn die darauffolgenden Schuljahre woanders verbringen zu lassen. Es folgten zwei Schuljahre am Lateinischen und deutschen Gymnasium in Iglau (Jihlava), vier Schuljahre im österreichischen Stiftsgymnasium Melk und zwei Jahre an der k. k. Staatsgewerbeschule in Reichenberg (Liberec), von wo aus er im Jahr 1888 wieder zurück nach Brünn wechselte, diesmal an die Deutsche Staatsgewerbeschule. Wie sich der kleine Loos als Gymnasiast benahm, verraten die Klassenbücher des Lateinischen und deutschen Gymnasiums in Iglau: „Betragen [im Schuljahr 1881–1882] zwar entsprechend, Fleiß jedoch ungleichmäßig, Ausfertigung der schriftlichen Arbeiten sehr nachlässig. Latein, Tschechisch, Deutsch und Mathematik ungenügend, nur Naturkunde ausreichend und Leibeserziehung lobenswert. Im anschließenden Jahr kam es zu einer leichten Verbesserung. Außer ungenügend in Latein und Tschechisch waren es lauter ausreichend, Leibeserziehung wieder lobenswert und Naturkunde sogar ausgezeichnet.“ Laut den Erinnerungen seiner zweiten Ehefrau Elsie Altmann lastete nach dem Tode des Vaters die Pflicht schwer auf Loos, einen guten Abschluss zu machen, um im Erwachsenenalter als einziger Mann in der Familie die Mutter und seine zwei Schwestern finanziell abzusichern. Der wachsende Druck hatte auf den trotzigen Charakter aber einen gegenteiligen Effekt: „Auf dem Gymnasium ist er der schlechteste Schüler. Im Unterricht liest er unter der Bank die verschiedensten Bücher und kümmert sich überhaupt nicht um Ermahnungen und Strafen, die auf ihn einhageln.“ In Iglau begegnet Loos offenbar erstmals seinem künftigen Meinungsgegner, dem Architekten Josef Hoffmann, der aus dem nahegelegenen Pirnitz (Brtnice) stammte. In seiner Selbstbiographie hat Hoffmann, der die Wiederholung einer Klasse nicht vermeiden konnte, bitter vermerkt: „Ich wurde zehn Jahre [Hoffmann war ebenso wie Loos Jahrgang 1870] und mußte in die Stadt gebracht werden, um im Gymnasium höhere Bildung zu erwerben. […] Das Gymnasium hatte den stolzen Ruf einer der strengsten Anstalten weit und breit, und es war keine Kleinigkeit durchzukommen. […] Ich fühlte mich in jeder Beziehung verschüchtert und verlassen. […] Ich gehörte leider von Anfang an zu den mäßig begabten Schülern.“ Beide Schüler sollten sich dann noch Ende der achtziger Jahre in der Staatsgewerbeschule in Brünn begegnen, wo jene namhafte Animosität zwischen dem berühmten Gegner des Ornaments und dem obersten Verfechter der Wiener Sezession entstand, die Wien am Anfang des Jahrhunderts bewegte. Ob auch die regelmäßigen Begegnungen in der Schule dazu beigetragen haben, kann jedoch nicht mehr festgestellt werden.
JK