„Die Familie Himmelreich und Zwicker hat sich[der Erpresser] deshalb ausgewählt, weil er auf seinen Streifzügen durch Schwarzfeld ihre prachtvoll ausgestattete Villa sah und erfahren hat, dass sie unermesslich viel Geld haben. In einer Drogerie auf dem Freiheitsplatz kaufte er sich ein Ätzmittel, mit dem er dann am Glacis das Auto von Frau Himmelreich übergoss. Danach begann er Briefe zu schreiben.“
Erpresser in Telefonzelle verhaftet. Auf amerikanisch klappt es in Brünn nicht, Lidové noviny (Volkszeitung) XLIV, Nr. 131, 12. 3. 1936, S. 1–2, zit. S. 2.
Die repräsentative Villa in der Schodová-Straße ist das Werk der österreichisch jüdischen Architekten Karl Hofmann und Felix Augenfeld. Letzterer hatte in den Jahren 1912–1914 die Privatschule für Architektur von Adolf Loos besucht. Durch Vermittlung seines ehemaligen Schulkameraden Ernst Freud, dem jüngsten Sohn des berühmten Psychoanalytikers, kam er um das Jahr 1930 an den Auftrag, den Bürosessel aus Leder zu entwerfen, den Sigmund Freund dann in seiner psychiatrischen Praxis benutzte. Felix Augenfelds Mutter stammte aus Brünn, und sein Onkel, der Architekt Alois Augenfeld, wurde mit seinen historisierenden „Verbesserungsentwürfen“ von Loosens Kaufhaus Goldmann & Salatsch in Wien berühmt. Karl Hofmann verband die Persönlichkeit von Ernst Wiesner mit Brünn, der an der Wiener Technischen Hochschule sein Studienkollege war und sie in den Jahren 1918 und 1919 an gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten sollten. Hofmann und Augenfeld hatten in den Jahren 1922–1938 ein gemeinsames Architektenbüro.
Die Bauherren Paul Himmelreich und Marietta Zwicker haben im Jahr 1923 die Ehe geschlossen. In Brünn wohnten sie ursprünglich in der heutigen Allee Kpt. Jaroše. Die Vorbereitungen zum neuen Einfamilienhausprojekt fallen in das Jahr 1927. Im Februar 1928 kauften die Eheleute eine Bauparzelle in der Schodová-Straße – die Grundstücke an diesem Standort waren eine der teuersten in Brünn – und im Dezember erfolgte die Bauabnahme des Neubaus. Der Fabrikant Paul Himmelreich zählte zu den vermögenden jüdischen Bürgern der Stadt – er war Miteigentümer der Brünner Spinnerei Himmelreich & Zwicker, die sich auf die Verarbeitung von Schafwolle spezialisiert hatte.
Die formale Charakteristik der neu errichteten Villa reflektiert nüchtern die soziale Stellung des Bauherrn. Es handelt sich um ein einstöckiges Haus mit glatter (ursprünglich ockerfarbener) Fassade, die lediglich durch ein durchgehendes Gesims zwischen dem Erdgeschoss und dem 1. Stockwerk und ein Hohlkehlenprofil unter dem Walmdach belebt wird. Die Fenster und der versenkte Eingang wurden auf der Achse der Hauptfassade angeordnet. Vor die Gartenfassade wurde eine erhöhte Terrasse gesetzt, deren auf vier Pfeilern ruhende Überdachung den von den Wohnräumen im ersten Stock zugänglichen Balkon bildet. Loosens Einfluss würden wir in der Lösung der Innen- und Außenräume vergeblich suchen. Felix Augenfeld hat sich später so geäußert, dass er, obwohl er mit einer Reihe von Loosens Ansichten nicht aufgehört hat einverstanden zu sein, er nicht mehr „fähig war, Loosens Marmorfußböden und den mit Mahagoniholz verkleideten Wänden der Speisezimmer für Bankiers aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg ganz zu glauben.“ Auch trotz des Bestrebens, sich vor Protzigkeit zu verwahren, konnten die Bewohner der Villa gewisse Schwierigkeiten nicht vermeiden. Bei einem Spaziergang war der neunundzwanzigjährige Leser von Detektivgeschichten Jan Peipert von dem Haus nämlich so angetan, dass er zu dem Schluss kam, dass darin ein sehr vermögende Familie leben müsse. Der mit einer geplanten Entführung der kleinen Tochter Miriam und dem Übergießen von Frau Himmelreichs Auto mit Säure verbundene Erpressungsfall, wozu sich Peipert von der Lektüre hatte inspirieren lassen, füllte im Frühjahr 1936 die Seiten der regionalen Presse. Über den Fabrikanten Himmelreich wurde damals als von dem Besitzer einer „Luxusvilla in der Straße ,Na schodišti‘.“ berichtet.
JK