Großweinstube und Großrestaurant Pilsner Hof

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„In Brünn hat er [Adolf Loos] uns alle am Tisch angefahren. Der da ließ eine gute Soße übrig, der da ein wenig Reis und jener hat die Suppe nicht aufgegessen. Und als er im Pilsner Hof sein garniertes Rindfleisch aß, mussten wir alle was von seiner Platte haben, und wenn es auch nur ein paar Bohnen, ein Löffel Kohl oder ein einziger kleiner Essigpilz sei. Und seinen Käse hat er jedem aufs Brot verteilt, das er brach und es wie Jesus teilte.“ 
Bohumil Markalous, Domov!, in: Adolf Loos, Řeči do prázdna. Soubor statí o architektuře, bydlení, ústroji a jiných praktických věcech, které uspořádal dr. Bohumil Markalous, Praha 1929, S. 227–229, Zit. S. 229.

„Aber Sie haben doch für morgen um elf den Steinmetzen bestellt … aber wir haben doch für heut’ abend ein Treffen mit den jungen Architekten verabredet … Aber… doch…‘ ‚Ja, aber die Frau wartet … Ich gehe… möchten Sie mich hinausbegleiten?“   Bohumil Markalous, Domov!, in: Adolf Loos, Řeči do prázdna. Soubor statí o architektuře, bydlení, ústroji a jiných praktických věcech, které uspořádal dr. Bohumil Markalous, Praha

„Die mährischen Architekten hatten Loos damals – als der Konstruktivismus aufkam – häufig unter sich gehabt. Einige von ihnen lud er nach Wien ein, um ihnen seine Arbeiten zu zeigen. […] In Brünn waren die Bedingungen für die Entfaltung neuer Ideen günstiger als in Prag, wo die Tradition der alten Institutionen fortbestand.“
Karel Honzík, Ze života avantgardy. Zážitky architektovy, Praha 1963, S. 94.

Zu einer Wiederaufnahme der Kontakte des Architekten Adolf Loos mit seiner Geburtsstadt kam es in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Es war der Auftrag, das Bauer-Schloss in Altbrünn zu sanieren, der ihn dorthin geführt hat. Zum Begräbnis der Mutter im Jahr 1921, von der er sich nach dem Tode des Vaters freiwillig hatte enterben lassen, war er jedoch nicht gekommen. Im Jahr 1924 nahmen die persönlichen Kontakte an Intensität zu. Loos machte auf Initiative des Kunsthistorikers V. V. Štech die Bekanntschaft des Redakteurs der Tageszeitung Lidové Noviny (Volkszeitung) Bohumil Markalous, der im Jahr 1923 aus Paris zurückgekehrt war und im akademischen Jahr 1923/1924 an der Brünner Tschechischen Hochschule begann, Vorlesungen über Kunstgeschichte zu halten. Štech empfahl Loos als Mitarbeiter für die neugegründete Revue (1924/1925) Bytová kultura (Wohnungskultur), die Markalous im Jahr 1924 mit Jan Vaněk, dem damaligen Direktor der Möbelbaufirma U. P. Závody (Vereinte kunstgewerbliche Betriebe) herauszugeben begann: „,Markalous hat meine Anregung begeistert aufgenommen. So ist der unbeständige Loos in die tschechische Umgebung zurückgekehrt.‘“

Dank Bohumil Markalous nahm Loos in Brünn dann Kontakt zu seinem späteren Mitarbeiter, dem Prager Architekten Karel Lhota auf. Lhota bekleidete am dortigen Institut für angewandten Hochbau ab Januar 1925 die Stelle eines Konstrukteurs, publizierte in der Zeitschrift Wohnungskultur und zählte zu den regelmäßgen Hörern von Markalous’ Vorlesungen. Im Februar 1925 übersiedelte Lhota nach Pilsen, wo er an der Staatsgewerbeschule eine Stelle als Pädagoge bekam und sich dort an mehreren Aufträgen von Loos beteiligte. Es handelte sich um den Ausbau der Wohnungen der Familie Hirsch (1927–1930), Brummel (1927–1929) und Beck (1928). In Prag arbeitete er dann zusammen mit Loos an der Planung der Villa Müller (1928–1930), an der Gestaltung des Innenraums der Villa von Lumír Kapsa (1930) und an der Planung der Villa Winternitz (1931–1933). Im Jahr 1924 kam Jan Víšek, ein weiterer Absolvent der Prager Hochschule für Architektur und Hochbau nach Brünn. Er nahm ebenso wie Lhota eine Stelle im Planungsbüro für den Bau der Masaryk-Universität an, in dem auch der Architekt Jaroslav Grunt tätig war. Grunt hatte durch Jan Vaněk, für den er Möbel entwarf, die Bekanntschaft mit Loos gemacht und besuchte ihn im Jahr 1924 zusammen mit Víšek in Wien. Bald nach seiner Ankunft in Brünn initiierte Jan Víšek die Gründung der Brünner Sektion des Prager Klubs der Architekten, der für Loos Anfang des darauffolgenden Jahres in Brünn und Prag öffentliche Vorträge veranstaltete. „Loosens Ruf war in Brünn schon vor der Gründung der [dortigen] Sektion lebendig,“ führt Karel Honzík in seinen Memoiren aus. Zu den weiteren Vertretern der jungen Generation Brünner Architekten, die mit Adolf Loos in Brünn und Wien verkehrten, zählten Ernst Wiesner, Bohuslav Fuchs, Otto Eisler, Jindřich Kumpošt, Karel Kotas, Bohumil Tureček und wahrscheinlich noch weitere. Die Pilsner Bierstube am Jakobsplatz war nur einer der Orte, an denen ihre Treffen stattfanden. Markalous hat in seinen Erinnerungen angeführt, dass sie auch am Glacis „zu sitzen pflegten“. Laut Jaroslav Grunts Erinnerungen stieg Loos in Brünn gegenüber dem Bahnhof im Hotel Grand ab, wohin ihn die jungen Architekten vor seiner Abfahrt jeweils begleitet haben.

Loosens kritische Ansichten und theoretische Ausgangspunkte, die er an den Kaffeehaustischen, auf öffentlichen Vorträgen sowie auf den Seiten der zeitgenössischen Presse verkündete, fielen ebenso wie die von ihm umgesetzten Bauprinzipien, in Brünn bald auf fruchtbaren Boden und begannen im Schaffen der jungen Architekten bald auf Resonanz zu stoßen – und es ging dabei nicht nur um die Unterdrückung des Ornaments. Der Akzent auf die Verwendung erlesener Materialien und Marmorverkleidungen im Schaffen Ernst Wiesners, der im Interieur des Brünner Krematoriums (1925–1930) dieselbe Cipollino-Verkleidung wie Loos ein paar Jahre früher im Bauer-Schloss verwandte, ist nur eines der Beispiele. Die aus mehreren Ebenen bestehende Raumlösung von Víšeks Konditorei Kolbaba (1938) und Jindřich Kumpošts Café Savoy (1928–1929) sind, ähnlich wie der Gastronomieteil von Fuchsens Hotel Avion (1926–1927), Zitate von Loosens Raumplan. Ernst Wiesner sollte sich zusammen mit Loos sogar an der Planung eines Kaufhauses von Helena Rubinstein in Paris beteiligen. Jaroslav Grunt stattete Innenräume mit Vorliebe mit langen Einbausofas und mit für Loos typischen – unter dem Namen Knieschwimmer bekannten – Lehnsesseln aus, die von Jan Vaněks Firma S. B. S. (Wohnungsgesellschaft Standard) in ihr Produktionsprogramm aufgenommen wurden. Gemeinsam mit Vaněk und Stanislav Kučera versuchte er auch sog. Häuser mit einer Mauer zu realisieren, wobei sie ein Konstruktionssystem umsetzten, das sich Loos im Jahr 1921 patentieren ließ. Abschließend sei hinzugefügt, dass Jindřich Kumpošt im Jahr 1928 für Loosens Neffe Valtra ein Einfamilienhaus im Brünner Masarykviertel entwarf, das letztendlich jedoch nicht gebaut wurde.  

                                                                                                                                             JK