Mährische Landesfinanzverwaltung

B003

Während der großen Brünner Assanierung kam es auch zu kontroversen Abrisseingriffen, welche die Aufmerksamkeit des zentralen Denkmalschutzorgans, der k. u. K. Zentralkommision zur Erforschung und Erhaltung von Baudenkmälern weckten, an deren Spitze der bedeutende Kunsthistoriker Max Dvořák stand. Neben dem Abriss der sog. Königskapelle auf dem Dominikanerplatz gehörte dazu auch der Abriss des Palais Dietrichstein im Bereich der Straßen Masarykova und Josefská und seine Ersetzung durch einen neobarocken Neubau.
Eines der architektonisch wertwollsten Barockpalais Brünns, das 1738–48 nach einem Entwurf des aus der gräflichen Linie eines berühmten Adelsgeschlechts stammenden Architekten František Antonín Grimm erbaut worden war, ging 1773 in den Besitz der Altgrafen von Salm-Reifferscheidt und danach im Jahr 1810 in staatlichen Besitz über. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Palais zum Sitz der Mährischen Landesfinanzdirektion. Am Ende des Jahrhunderts war die Kapazität des alten Palais den Bedürnissen der modernen bürokratischen Verwaltung nicht mehr gewachsen, weswegen das Finanzministerium im Jahr 1903 die Genehmigung dazu erteilte, das bestehende Gebäude mit einem veranschlagten Kostenaufwand von 600 000 Kronen zu renovieren. Trotz der ursprünglichen Absicht, das Barockpalais teilweise zu erhalten, wurde es 1905 schießlich abgetragen. Max Dvořák setzte über den Landeskonservator Ferdinand Hrach zumindest durch, dass wenigsten einige Steinmetz- und Schmiedearbeiten des Barockpalais erhalten blieben und für den Neubau wiederverwendet wurden. 1905–1907 wurde von den Brünner Baumeistern Anton Jelink und Martin Fleischhack nach den Plänen eines bislang unbekannten, wahrscheinlich aus dem Architektenbüro des Innenministeriums in Wien stammenden Architekten ein völlig neues ausgedehntes Verwaltungsgebäude errichtet, dessen Baukosten sich gegenüber dem ursprünglichen Etat verdoppelt hatten. Das entstandene monumentale Stadtpalais war im Grunde genommen ein moderner Mehrfunktionsbau, der mit seiner wuchtigen neobarocken Form und den wiederverwendeten ursprünglichen Elementen eine programmatische Reminiszenz an seinen barocken Vorgänger darstellte. Der monumentale Block vierstöckiger, sich um zwei Höfe konzentrierender Flügel wurde mit neobarocken Fassaden versehen. Die architektonisch wirkungsvolle zur Straße Masarykova gewandte Fassade wurde durch zwei von Giebeln und rechteckigen Pavillons gekrönten Seitenrisalits akzentuiert. Der Balkon über der neobarocken Portalarchitektur wurde im Einklang mit Ferdinand Hrachs Intentionen mit dem ursprünglichen dekorativen Barockgitter versehen, das seinerzeit von dem Kunstschmied Heinrich Gottfried Förster angefertigt worden war und die Initialen des Bauherrn des Palais Leopold Graf von Dietrichstein trägt. Ein ähnliches Gitter bildet auch die Brüstung eines Balkons an der zur Straße Josefská gewandten Ostfassade. An den Höfen wurden die mit Vasen des Dietrichstein’schen Hofbildhauers Ignaz Lengelacher verzierten Portale des ehemaligen Palais wiederverwendet.
Das monumentale historisierende Palais, das bis heute als Sitz der Appellationsdirektion für Finanzen dient, bildet zusammen mit dem angrenzenden Komplex des ehemaligen Franziskanerkloster und der Maria Magdalenenkirche eine urbanistische Schlüsselkomponente des Brünner Stadtkerns. Seine Entstehung ist zwar mit brutalen Abrisseingriffen in die historische Bebauung der Stadt und mit dem Abriss bedeutender Barockbauten verbunden, stellt aber eine durchdachte bauliche Tat dar, die durch eine architektonisch wirkungsvolle Vorder- und Rückfront die übermäßigen Baumassen seiner Verwaltungsflügel und das Fehlen von Althergebrachtem auf gelungene Weise verbergen und dem umliegenden Stadtraum überraschenderweise eine positive Prägung verleihen.

Aleš Homola

Name
Mährische Landesfinanzverwaltung

Datierung
1905 – 1907

Baumesier(in)
Anton Jelinek, Martin Fleischhacker

Kode
B003

Typ
Verwaltungsgebäude, Mehrzweckgebäude

Adresse
Masarykova 427/31, (Město Brno), Brno, Střed

GPS
49°11'31.2"N 16°36'38.4"E

Literatur
Petr Pelčák, Jan Sapák, Ivan Wahla (eds.), Brněnští židovští architekti 1919–1939, Brno 2000
Barbora Kettnerová, Architekt Othmar Skrabal, 2010
Jiří Kroupa, Dějiny Brna 7. Uměleckohistorické památky. Historické jádro, Brno 2015, S. 612 – 618.
Dobroslav Líbal, Stavebně-historický průzkum objektů umělecko-památkového významu, Praha 1973, S. 93.


Quellen
https://pamatkovykatalog.cz/moravska-zemska-financni-sprava-18351853
W. Burkhart’s Führer durch Brünn und Umgebung, Brno 1911, s. 151. Mittheilungen der kaiserl. königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, 1905, s. 238. Österreichische Monatsschrift für den öffentlichen Baudienst, 22, 1903, s. 18. Der Bautechniker 27, 1903, č. 42, s. 843.