Die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts freien Parzellen des westlichen Randes der damaligen Falkensteinergasse (heute Gorkého-Str.) wurden in den Jahren 1902–1904 von František Hudec nach einem eigenen Entwurf mit stilistisch einheitlichen Mietshäusern bebaut (Nr. 29–35, an die Straße Úvoz Nr 74 anschließend). Ihre Fassaden ziert ein flächiges Jugendstildekor, die in Richtung der Straßenecke Úvoz um architektonisch plastischere Elemente ergänzt werden und in Form des Eckgebäudes Nr. 35 ihre natürliche Vollendung haben. Das Gebäude gliederte Hudec mit markanten vertikalen Motiven, die von den unter dem Dachgesims angebrachten plastischen Frauenmaskaronen abfallen. Das Gesims überragen Lünetten und wird von niedrigen Bögen der Attika gekrönt. Die Fassade entspricht damit direkt dem Programm des tschechischen Jugendstils, der Elemente der böhmischen Renaissance und des als lyrisch-slawisch empfundenen Jugendstilornaments miteinander verbindet. Ab 1906 wurde ein Teil der Gebäude von dem Verein Mährisches Zentralasyl für Frauen genutzt.
Der Verein wurde 1899 von Eliška Machová gegründet, damit ein Ort entstand, an dem verwaiste oder verlassene Kinder, vereinsamte, studierende oder arbeitende Mädchen, Frauen, die keinen Familienkamin haben, gebrechliche Greisinnen, die in der Welt ohne Unterstützung verblieben, ein sicheres Asyl fänden. Die Eröffnung des Asyls sollte anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Karolina Světlá im Jahr 1900 erfolgen, jedoch hat der Tod der Schriftstellerin die Inbetriebnahme des ersten Asyls beschleunigt. Nach einigen Jahren in angemieteten Räumen in der heutigen Křížová-Straße mietete der Verein im Jahr 1906 das Eckgebäude von Hudec in der Gorkého-Straße, das er später käuflich erwarb. Durch das größer werdende Angebot des Asyls reichten die Räumlichkeiten bald nicht mehr aus, und er erwarb auch das Nachbargebäude Nr. 33, und zwar direkt von dem Baumeister František Hudec und seiner Frau Jarmila.
Das Eckgebäude fungierte zunächst nur als Waisenheim für Mädchen, das (1927 ebenfalls käuflich erworbene) Nachbargebäude diente als Pensionat. Zuflucht fanden dort vor allem junge Mädchen vom Lande, die in Brünner Haushalten Arbeit suchten, ferner arme Witwen sowie pensionierte weibliche Mitglieder des Vereins. Die Aktivitäten des Asyls, an denen sich Marie Steyskalová jahrzehntelang deutlich engagierte, boten nicht nur eine Unterkunft. Der Verein veranstaltete touristische Ausflüge, Handarbeitskurse, ein von Leoš Janáčeks Tochter Olga geleitetes Puppentheater, Trachten- und Kulturveranstaltungen und Ähnliches. Im Laufe der Jahre betrieb er eine ganze Reihe weiterer Asyle und Erholungszentren nicht nur in Brünn, sondern in ganz Mähren. Der Verein baute sogar ein Kindererholungsheim in Cirkvenica an der kroatischen Küste auf. Seine Aktivitäten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgedrängt, und Anfang der fünfziger Jahre wurde er aufgelöst. Die Gebäude des ehemaligen Asyls werden von einem Mittelschulinternat genutzt.
An die Verdienste beider mit der Tätigkeit des Vereins verbundenen Frauen Eliška Machová und Marie Steyskalová erinnert eine Relieftafel mit ihren Porträts, die im Jahr 1952 in die Gebäudeecke gesetzt wurde. Angefertigt wurde sie von Sylva Jílková-Lacinová nach einem Entwurf ihres Bruders Lubor Lacina.
Matěj Kruntorád