„Unter den schweren Kriegsverhältnissen und nach dem Brand war ich dazu gezwungen, die Fabrik völlig umzubauen, und zwar ohne den technischen Direktor, mit dem ich in einer Reihe von Fragen fachlicher Art nicht einverstanden war.“
Viktor Bauer, Co jsem prožil u nás od převratu, Brno 1929, S. 8.
„Gestern nachmittag fiel dem 37jährigen Maurer Václav Boček, einem Beschäftigten am Bau der Zuckerfabrik in Hrušovany, ein Balken auf das Bein, der ihm den Oberschenkelknochen brach.“
Arbeitsunfälle, Lidové noviny XXIV, Nr. 100, 11. 4. 1916 (Frühausgabe), S. 2.
Die Gründung einer Zuckeraufbereitungsanlage in Rohrbach (Hrušovany) bei Brünn fällt an den Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Das Hauptgebäude der Fabrik wurde in den Jahren 1881–1882 an der lokalen Eisenbahnstation errichtet und wurde von der Rohrbacher Zuckerraffinerie Actien-Gesellschaft betrieben. Der Betrieb der Firma war mit dem der benachbarten Zuckerfabrik in Židlochovice verbunden, die der Familie Robert gehörte. Nachdem die Altbrünner Zuckerfabrik im Jahr 1906 abgebrannt war, begann sich Viktor Bauer sen. in Rohrbach finanziell zu engagieren. Nach dessen Tod löste ihn sein Sohn Viktor im Vorstand des Unternehmens ab, der im Jahr 1913 den Firmensitz nach Wien verlegte. Dort kam es offenbar zur Kontaktaufnahme mit dem Architekten Adolf Loos, der für die Rohrbacher Raffinerie im gleichen Jahr die Baupläne für die Direktorenvilla ausarbeitete und auch das neue Wiener Büro ausstattete. In besagter Zeit hielt sich Viktor Bauer jun. mit seiner Familie überwiegend in Dresden auf, wo er ein Jahr zuvor im Stadtteil Loschwitz eine Villa erworben hatte, die er sich mit ebenfalls von Loos empfohlenen Möbeln einrichten ließ.
Am 12. November 1915 ging durch die österreichisch-ungarische Presse die Nachricht, dass die Rohrbacher Raffinerie einen Tag zuvor von einem vernichtenden Brand heimgesucht wurde. Die Tageszeitung Národní listy (Volksblätter) brachten darüber eine detaillierte Reportage: „Zum Brand der Raffinerie in Hrušovany erfahren wir noch einige Einzelheiten. Das Feuer, das auch vom Brünner Spielberg aus zu sehen war, hat sich so schnell ausgebreitet, dass die Arbeiter und 400 russische Gefangene, die in der Raffinerie arbeiteten, nur das nackte Leben retteten. Es kamen zahlreiche Feuerwehren, aus Brünn kam noch eine Automobilspritze und mit einem Sonderzug auch eine Dampfspritze hinzu, an Löschen war jedoch nicht zu denken, jegliches Vorgehen beschränkte sich lediglich auf den Schutz der umliegenden Fabrikgebäude und des nahen Bahnhofs, der ebenfalls bedroht war. Abgebrannt ist nur das fünfstöckige Hauptgebäude, der durch den Brand entstandene Schaden wird auf eine Million Kronen geschätzt, der jedoch von der Versicherung gedeckt ist. Im Lager befand sich Rohzucker für 6 Millionen Kronen. Der Brand dauerte bis zwei Uhr nachts an. Der Lagerarbeiter Šotek wird vermisst, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er bei dem Brand umkam. Die Brandstätte konnte bisher noch nicht betreten werden, da die Trümmer bislang noch brennen.“ Der durch das Feuer verursachte Schaden war alarmierend, in den Flammen kam ein Lagerarbeiter um, und das fünfstöckige Hauptgebäude der Fabrik mit dem Filtrierturm brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Firma war zum Glück bei der Versicherung der Zuckerindustrie (Asekurační spolek průmyslu cukrovarnického) in Prag versichert, und die Verluste waren durch die Versicherung gedeckt. Viktor Bauer jun. begab sich als damaliger Direktor der Raffinerie vor Ort, um die Folgen des Brandes zu dokumentieren und den Bau eines neuen Hauptgebäudes organisatorisch zu leiten. Am 25. März 1916 wurde der Antrag für die Baugenehmigung eingereicht, und im Jahr 1917 erfolgte eine Teilabnahme des Baus.
Der dreistöckige Eisenbetonneubau mit Hunderten von Fenstern und einem asymmetrisch positionierten Filtrierturm mit sieben Stockwerken und einer Höhe von 36 m ist bis heute ein imposantes Werk. Die Monumentalität des 130 m langen Gebäudes wird durch die Lösung der Hauptfassade mit einer Reihe von zwischen den Fensterfüllungen eingepassten Halbsäulen, die bis zum dritten Stockwerk reichen und von einem massiven Gesims abgeschlossen werden, noch gesteigert. Ein technologisches Wunder ist die Bedachung der Hauptfabrikhalle mit einem riesigen überhöhten Oberlicht. Die einzelnen Stockwerke haben den Charakter eines offenen Raumes, der durch das regelmäßige Raster der Eisenbetonpfeiler rhythmisiert wird. Den Auftrag zur Durchführung der Bauarbeiten vergab Bauer an die deutsche Firma Max Gotthilf Richter, Kammerling & Co., die in Leipzig tätig war und in Dresden und Chemnitz Filialen hatte. Sie war vor allem auf technologisch anspruchsvolle Eisenbetonbauten wie Brücken, Viadukte und Fabriken spezialisiert. Im Hinblick auf den Zuckerfabrikbetrieb zählte die wieder aufgebaute Raffinerie in Europa zwar zu den modernsten Unternehmen ihrer Art, trotzdem kam die Firma nach 1923 durch die schwer lastenden Folgen von Masaryks Landreform in Bedrängnis. Das Unternehmen kam zunächst um seine Rübenfelder in Židlochovice, und nach wiederholten Versuchen, teure Rohstoffe auf dem freien Markt zu kaufen, wurde die Produktion im Jahr 1928 eingestellt. Praktisch ab dieser Zeit wird das Areal zu anderen Zwecken genutzt: zunächst als Lager für Futtermittel, und nach der Verstaatlichung dienten die Räume den Staatsbetrieben Prefa und Svit Gottwaldov.
Ungefähr ab Mitte der sechziger Jahre wird das Gebäude der Raffinerie von einigen Fachleuten Adolf Loos zugeschrieben; in den Verzeichnissen der Arbeiten, die zu Lebzeiten des Architekten veröffentlicht wurden, fehlt es allerdings. Von seiner Autorschaft könnte vielleicht sowohl sein wiederholtes Engagement in Hrušovany, als auch die formale Ausführung der Hauptfassade mit der zwischen den Fenstern eingepassten Halbsäulenreihe sprechen. Dieses Element wurde von dem Architekten nämlich an der Gartenfassade eines Einfamilienhauses in der Jiráskova-Straße in Brünn verwendet, dessen Umbau er im Jahr 1909 entworfen hatte. Neu entdeckte Quelle liefern indes überraschende Informationen: die Baupläne der Fabrik wurden von dem nicht sehr bekannten Architektenbüro Stephan & Möbius aus Dresden ausgearbeitet. Architekt Carl Ernst Stephan und sein Gesellschafter Ernst Möbius sind die Autoren von einigen kleinen Villen, die sich im Dresdner Stadtviertel Loschwitz befinden, in dem auch Viktor Bauer mit seiner Familie zur Zeit des Brandes gewohnt hatte. Ihre Autorenschaft wird auch durch einen umfangreichen Artikel bestätigt, der im Jahr 1918 in der Fachzeitschrift Der Industriebau veröffentlicht wurde. Wie auch immer es nun den Anschein geben mag, dass die Frage der Autorenschaft der Raffinerie von Hrušovany dadurch geklärt sei, das Gegenteil ist wahr: eine in der Wiener Albertina aufbewahrte Ansichtskarte mit einer Fotografie der Fabrik trägt die eigenhändige Bemerkung von Adolf Loos: „Nach Plännen von Loos.“ Der Ordnung halber sei nur daran erinnert, dass der Architekt die Gewohnheit hatte, von sich in der dritten Person zu reden und dass sich die besagte Beschriftung – da es sich um eine Ansichtskarte handelt – auf Hrušovany als solches handeln könnte.
Jana Kořínková