Das Amts- und Wohngebäude der Ersten allgemeinen Unfall-Versicherungsgesellschaft wurde 1916 auf einem ausgedehnten Eckgrundstück zwischen den Straßen Česká und Veselá errichtet, das im Zuge der Brünner Assanierung freigeworden war.
Im Archiv der Stadt Brünn werden die komplett erhaltenen Originalpläne aufbewahrt, die dem Stadtrat am 1. Juli 1915 zur Genehmigung vorgelegt wurden und von dem Wiener Architekten Franz von Krauß, dem Autor einer Reihe bedeutender Bauten in Österreich, Böhmen und Mähren signiert wurden. Franz von Krauß legte zwei Varianten Fassadenentwürfe vor, von denen man den Entwurf mit zwei Rundecken und einem mächtigen, der Straße Česká zugewandtem Dreiecksgiebel ausgewählt hat. Bestandteil des Originalentwurfs war auch ein anspruchsvoller, in die Dachmitte des Gebäudes gesetzter Uhrturm mit Aussichtsgalerie, der heute nicht mehr existiert, jedoch auf historischen Fotografien zu sehen ist.
Die elegante Form des Gebäudes ging von der Tradition des Wiener neobarocken Stils aus, der durch vereinfachte Formen und Integration von geometrischen Elementen der Wiener Moderne zeitgemäß aktualisiert wurde. Der Charakter der Fassade des dreiflügeligen fünfstöckigen Eckgebäudes wird durch zwei konvexe Rundecken definiert, die von Balkonterrassen abgeschlossen werden, deren Balustraden mit mächtigen dekorativen Vasen bestückt sind. Die horizontale Fassadengliederung besteht aus einer Geschäftsparterrezone (Souterrain, Erdgeschoss und Zwischengeschoss), die auch Büroräume enthält, und aus einer die zweite, dritte und die Mansardenetage einnehmenden Wohnzone.
Das Souterrain des Baus wurde entsprechend den nachträglich erstellten Änderungsplänen des Brünner Architekten František Antonín Čermák vom 25. Mai 1916 umgestaltet. Čermák entwarf auch die Pläne für die Innenraumgestaltung der im Souterrain des Gebäudes Ende 1918 eröffneten City-Bar. Die große Bar mit Tanzparkett, auf dem in den Abendstunden Tanzvorführungen und ein Kabarettprogramm veranstaltet wurden, gehörte Jan Nekvapil, der später unter anderem auch das berühmte funktionalistische Caféhaus Savoy leitete. Der englische Name hat die Kunden offenbar verwirrt, sodass in der Presse erklärt wurde: Der Inhaber der Bar setzt uns darüber in Kenntnis, dass das Etablissement tschechisch ist und sein wird, dass es mit dem Plakat nur andeutet, dass die Bar als Einrichtung des englischen öffentlichen Lebens auf englische Weise und im englischen Geiste geführt wird (Tageszeitung Lidové noviny 21. 12. 1918). Anfang des 20. Jahrhunderts kam die amerikanische Bartradition nach Europa, und diese neuen Lokale waren ein Manifest der modernen kosmopolitischen Großstädte. Bedeutendes Vorbild dafür wurde die von Adolf Loos entworfene American Bar in Wien. František Antonín Čermák entwarf zu dieser Zeit mehrere ähnliche moderne Lokale in Brünn (Old American Bar an der Ecke der Straße Radnická und des Krautmarkts 1912‒1913) und in Ostrava. In der City-Bar wurden die Kabarettvorstellungen von einer Gruppe junger begabter Studenten veranstaltet, die hauptsächlich in Prag wirkten und unter dem Namen die Rote Sieben bekannt waren. Zu den berühmten Mitwirkenden der Roten Sieben zählten beispielsweise Jaroslav Hašek, Eduard Bass, die Allan Sisters, Bohuslav Martinů, Vlasta Burian oder Karel Hašler. Das Kabarett steigerte abends bereits die Besucherzahl des Lokals, nicht erst in den späten Abendstunden, in denen der Barbetrieb florierte. Jan Nekvapil verpflichtete sich deshalb, sich am Betreiben des Kabaretts zu beteiligen und ließ noch eine kleine Bühne bauen und Künstlergarderoben einrichten. Der Export des Prager Humors nach Brünn ist der zeitgenössischen Presse nach nicht gerade glatt über die Bühne gegangen: „In Brünn, wo das nach einem Jahrzehnt lang gewaltsam unterdrückte tschechische Leben erst ordentlich zu erblühen beginnt, traf die Rote Sieben auf keine leichten Verhältnisse. Vor allem woher soll man im tschechischen Brünn für ein solches Etablissement genügend Publikum hernehmen? Soll es aus der Masse der arbeitenden Bevölkerung kommen, oder von den kriegsmüden Beamten oder den wenigen Schnellreichen? Der Brünner Durchschnittstscheche lebt, wenn er dazu genügend Mittel hat, am liebsten auf großem Fuß und bequem, ihm entspricht eine solche Art der Unterhaltung am besten, bei der er nicht denken muss: Weinschenke, Caféhaus, Kino, Varieté. Kabarett aber, das vom Publikum eigentlich mitgestaltet werden soll? [...] wie falsch sittsam ist unser Publikum, wie grausam ernst gebärden sich die Herren während des Damenaufzugs bei irgendeinem zügellosen Chanson von Frl. Golwellová oder Filaunová. Und zuguterletzt, wie ist unser Publikum doch österreichisch! Wer es selbst nicht probiert hat, kann sich die verblüffte und erschrockene Stimmung nicht vorstellen, die Drémans hervorragende Karikatur des vorletzten Habsburgers hervorruft. Unser Publikum muss erst lernen, das Kabarett zu verstehen, aber auch die Rote Sieben muss dazulernen. Wenn ihre Mission erfolgreich sein soll, kann man es bei uns nicht nur bei einer Expositur des Prager Etablissements belassen. Es reicht einfach nicht, einen Prager Witz auf uns zu übertragen, der in fremder Umgebung doch keine Wirkung zeigen kann“ (Tageszeitung Lidové noviny 19. 3. 1919) . Obwohl die Rote Sieben bemüht war, Eingriffe im Programm der örtlichen Umgebung anzupassen, hat sie das Bemühen, das Brünner Publikum zu verstehen, nach zwei Saisons aufgegeben und ihr weiteres künstlerischen Bestreben ausschließlich auf Prag konzentriert.
Kurz nach Erföffnung der City-Bar wurde am 14. 8. 1919 auch das Kino Republika in Betrieb genommen, mit dem Zuschauerraum im Erdgeschoss, zwei Logen und einer Galerie, dessen Innenräume wiederum nach einem Entwurf von F. A. Čermák gestaltet wurden. 1929 wurde das Interieur leicht abgeändert, und das Kino blieb bis Mai 1935 in Betrieb.
Damals erhielt die Firma Ander und Sohn die Räume des Geschäftsparterre, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in der ganzen Republik ein Einkaufszentrumsnetz aufbaute und dort eine Filiale des Kaufhauses ASO (Ander u. Sohn Olmütz) mit Imbiss einrichtete. Die Umgestaltung des Kaufhauses wurde erneut von dem Architekten František A. Čermák entworfen, der mit der Firma ASO bei einer Reihe weiterer Bauten eng zusammenarbeitete. Im September 1959 hat man dort dann die legendäre Milchbar Sputnik eröffnet (siehe BAM, D118), dessen Interieur von dem Glasmacher und bildenden Künstler Jaroslav Brychta entworfen wurde und dass bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Betrieb blieb Heute werden die geräumigen Geschäftsräume von einer Modekette genutzt.
Pavla Cenková