„Sehr geehrter Herr Architekt! Es wird Sie vielleicht interessieren, dass ich in der von Ihnen gebauten und im oberen Stockwerk auch eingerichteten Villa schon einige Zeit wohne, und zwr mit meiner Frau und den Kindern. Erst durch den langen Aufenthalt in diesem Haus wurde uns bewusst, wie viel modernen Komfort Sie da hineingetan haben. Würde das Haus nicht in einer kulturellen Wüste stehen, sondern etwa in Grinzing unter der Bellevue mit Ausblick auf Wien, wäre dies natürlich noch unvergleichlich angenehmer. Allerdings wirkt dort der Kontrast dadurch eher stärker. Die Lebensqualitäten, die man auf diese Weise bekommt, lassen sich in Zahlen gar nicht ausdrücken.“ Brief von Viktor Bauer junior an Adolf Loos vom 14. 1. 1919, Dagmar Černoušková, Areál cukerní rafinerie v Hrušovanech u Brna. Vila ředitele a hlavní tovární budova, in: Jindřich Chatrný – Dagmar Černoušková (Hgg.), Brněnské stopy Adolfa Loose, Brno 2010, S. 51–62, zit. S. 60. Die Villa des Direktors der Zuckerraffinerie in Hrušovany bei Brünn, deren Architekt Adolf Loos ist, ersetzte eine ältere Direktorenvilla vom Ende des 19. Jahrhunderts, die sich ebenfalls in der Nähe des Fabrikgeländes befand. Die Pläne dazu entstanden offenbar bereits im Jahr 1913. Finanziert wurde das Bauvorhaben von der Aktiengesellschaft der Zuckerraffinerie Hrušovany, in deren Vorstand Viktor Bauer jun. seinen verstorbenen Vater ersetzte, der den Kontakt zu Loos offenbar vermittelt hatte. Der Bau erfolgte im darauffolgenden Jahr, und das Haus erhielt die Konskriptionsnummer 214. Das Haus wurde offenbar wegen seines modernen Aussehens, mit dem es sich nicht nur von den bescheidenen Einfamilienhäusern in der Gemeinde, sondern auch von den Bauten im nahegelegenen Brünn unterschied, in der Vergangenheit von vielen Fachleuten falsch datiert. Zu seiner Außergewöhnlichkeit trug die einfache, dekorlose weiße Fassade, die symmetrisch komponierte Fassade mit der gegenläufigen Doppeltreppe und zwei spiegelartig ausgerichteten Terrassen bei, die vom Schlafzimmer im ersten Stock aus zugänglich waren. Völlig originell war jedoch das als begehbarer Dachgarten entworfene Dach, das aus diesem Bauwerk auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik das offenbar älteste Wohnhaus mit Flachdach macht. Das Aussehen der Direktorenvilla hat demnach in vielerlei Hinsicht die architektonischen Trends vorweggenommen, die in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erst kommen sollten. Vom ursprünglichen Aussehen der Innenräume haben wir leider nicht allzu viele Belege. Trotz des unsensiblen Umbaus vom Ende der siebziger Jahre ist jedoch klar, dass der Architekt dort seinen berühmten Raumplan wie wir ihn von der Villa Müller in Prag her kennen nicht angewandt hat. Im erhöhten Erdgeschoss war der Bürobetrieb mit Schreibstube untergebracht. Der erste Stock war zum Wohnen bestimmt. Bekannt ist lediglich das Aussehen der Eingangshalle mit dem Treppenaufgang, der mit einer dunklen Vertäfelung versehen war. Neu entdeckt wurden Aufnahmen des Speisezimmers mit verglaster Möbelwand sowie zwei Fotografien des anspruchslos und zweckmäßig ausgestatteten Badezimmers.
Nach Proklamation der selbständigen Tschechoslowakei begab sich Viktor Bauer jun. als damaliger Direktor des Verwaltungsrates der Raffinerie nach Hrušovany, um in Erfahrung zu bringen, in welchem Zustand sich die Firma nach dem Krieg befand. Er wohnte in der Direktorenvilla, und nach einer gewissen Zeit kamen auch seine Frau und die Kinder dorthin, was durch eine einzigartige Reihe von Fotografien belegt wird, die zum Jahresende 1919 in der Umgebung des Hauses gemacht worden waren. Im Januar schrieb er Loos einen Brief, in dem er die Qualität der Architektur würdigte und ihm mitteilte, dass er ihn gerne bei der geplanten Umgestaltung der Innenräume des Schlosses in Kunín mit einbeziehen wolle. Da der jüngere Sohn Hellmuth im September zum Pflichtschulbesuch antreten musste, hat sich die Familie nicht lange in Hrušovany aufgehalten: „Nachdem ein halbes Jahr verstrichen war, in dessen Zeitraum es mir gelang, einen neuen Direktor zu finden, konnte ich nach Brünn übersiedeln, um mich anderen, mich bereits erwartenden Aufgaben zu widmen,“ führt Viktor Bauer in seinen Memorien aus. Zu einer Herrichtung des Schlosses in Kunín ist es letztendlich wahrscheinlich nicht gekommen, die Bauers haben sich von Loos jedoch Anfang der zwanziger Jahre das Schloss in Altbrünn herrichten lassen.
JK