Mietshäuser

B022

1913 hat man in Brünn beschlossen, die historische Bebauung auf zwei schmalen benachbarten Grundstücken zwischen den Straßen Česká und Veselá abzureißen. Das ältere Haus an der Stelle des heutigen Hauses Nr. 13 gehörte Matilda Medřická und ihren Kindern, denen es der Bauunternehmer Stanislav Neděla und der Ingenieur Julius Keer Anfang 1914 abkauften. Die Besitzerin des historischen Hauses Nr. 15 und gleichzeitige Investorin des Neubaus war Anna Vlková. Die beiden in der Reihenbebauung der Straße aneinander anschließenden neuen Mietshäuser wurden noch während des Jahres 1913 von Stanislav Neděla errichtet. In der ungestümen Baubetriebsamkeit jener Zeit war es gängige Praxis, dass technische Lösungen und Grundrisse der Häuser von Baumeistern oder Baufirmen geschaffen wurden, künstlerische Fassadenentwürfe man jedoch bei Privatarchitekten in Auftrag gab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Projekt der Fassade auf Bohumír F. A. Čermák übertragen wurde, dessen Urheberschaft bislang anhand von Quellen noch nicht belegt werden konnte, sondern durch formale Analogien zu anderen Bauten Čermák zugeschrieben wird, der als Schüler von Otto Wagner den damals aktuellen Stil der Wiener Moderne nach Brünn brachte.
Das dreistöckige Reihenhaus Nr. 13 nimmt die Breite des gesamten Häuserblocks ein, und seine Fassade ist beiden Straßen zugewandt. Die Hauptfassade zur Straße Česká ist dreiaxial, symmetrisch, vertikal komponiert und über dem Parterre durch hohe Lisenen gegliedert. In der Mittelachse wird das 1. und 2. Stockwerk durch einen dreiseitigen, von einem Balkon gekrönten Erker verbunden. Auch die Flächen unter den Fenstern in den Randachsen erwecken durch ihre bauchige konvexe Form den Eindruck eines Erkers. Auf das ausladende stufenförmige, von Konsolen getragene Dachgesims wurde ein dreieckiger Attikagiebel mit einem Bogenfenster gesetzt, der von kannelierten Pilastern getragen wird. Das Dekor der Fassaden wurde reduziert auf plastische Löwenköpfe in den Fensterbrüstungen des 2. Stockwerks, auf stilisierte Blumenvasen zwischen den Fenstern des 3. Stockwerks und auf die feine Linie eines Perlstabs. Der Architekt schenkte subtil bearbeiteten Metallelementen Beachtung, wie dem Balkongeländer mit Blumenmotiv oder den niedrigen Einfassungen vor den Fenstern.
Die Front des Hauses Nr. 15 wurde ähnlich wie die von Nr. 13 gestaltet. Die Annahme, dass es sich um das Werk desselben Architekten handelt wird durch die analoge Gesamtkomposition und identische Bearbeitung der Details bestätigt. Der zentrale, leicht konvexe Erker wird an den Seiten von markanten, abgerundeten kannelierten Pilastern gesäumt, die im unteren Teil von mächtigen plastischen Kartuschen mit vegetabilem Gehänge verziert werden.
Die architektonische Formgebung beider Häuser fällt voll und ganz in Čermáks Vorkriegsschaffen, das der Ästhetik von Otto Wagners neuer Architektur entspricht und sich gegenüber dem überladenen Dekor des späten Historismus zur Einfachheit und Zweckmäßigkeit bekennt. Für Čermák ist eine modernistische Formenreinheit charakteristisch, die er mit einem speziellen subtilen Dekor kombiniert und für das er häufig florale Motive verwendet. Zu den charakteristischen Elementen, die ebenfalls an weiteren Brünner Bauten Čermáks Verwendung fanden, gehört der zentrale Erker und konvexe bauchige Fensterbrüstungen sowie Löwenmaskarone, die Čermák auch an der Fassade des Hauses in der Straße Lidická Nr. 16 verwendete. Motive einer stilisierten Blütenglocke und von volutenartig geformten Ranken an Metallelementen findet man wiederum bei den Stuckdekors und an den Metallelementen im Gebäude der Arbeiterunfallversicherung in der Straße Koliště.
Anna Vlková war (später gemeinsam mit Rosa Vlková) bis Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts Eigentümerin des Hauses Nr. 15. 1928 ließen die neuen Eigentümerinnen Anna Kavanová aus Karvin und Růžena Roupcová das Mietshaus an der Straße Česká um ein Dachgeschoss und ferner um einen 4. Stock und ein Dachgeschoss ab der Straße Veselá aufstocken.
Das Erdgeschoss von Nr. 13 wurde gleich nach seiner Fertigstellung von der legendären Buchhandlung Barvič & Novotný bezogen, die bis heute dort residiert. Die damals erste und einzige Brünner tschechische Buchhandlung wurde 1883 von dem Gründer der Gesellschaft Josef Barvič in Haus Nr. 4 der Straße Česká eröffnet. Später ging Josef Novotný bei ihm in die Lehre und wurde später im Jahr 1909 Gesellschafter von Barvič und danach auch Inhaber der Firma und Eigentümer des Hauses Nr. 13. Neben der Leitung der Buchhandlung war Josef Novotný auch verlegerisch tätig, gründete eine Gemäldegalerie (1924), veranstaltete Konzerte des Meistergeigers Jan Kubelík und unterstützte arme Studenten.
Čermáks Autorenschaft wird noch durch einen anderen historischen Umstand bestätigt: Im Nachlass des Architekten befindet sich eine Erwähnung über das Bauprojekt der Aufstockung des Hauses Nr. 13 in der Straße Česká von 1933. Ein Jahr zuvor hatte er offensichtlich auch den Entwurf des Umbaus der Villa des Buchhändlers Josef Novotný ausgearbeitet – es ist wahrscheinlich, dass sich Novotný in Fragen zur Ausführung von baulichen Änderungen an den bewährten Architekten gewandt hat.
1948 wurde die Firma verstaatlicht, Josef Novotný wurde 1951 wegen sog. antistaatlicher Tätigkeiten infaftiert und starb ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Nach dem Fall des kommunistischen Regimes erhielt Josef Novotnýs Ehefrau Helena die Buchhandlung wieder zurück. 2013 feierte die Familienbuchhandlung 130 Jahre ihres Bestehens, kurz darauf wurde sie von Josef Novotnýs Nachfahren jedoch verkauft und gehört heute der Buchhandelskette Kanzelsberger.

Pavla Cenková

Name
Mietshäuser

Datierung
1913

Architekt
Bohumír František Antonín Čermák

Kode
B022

Typ
Mietshaus

Adresse
Česká 167–168/13–15, Veselá 167–168/20–22 , (Město Brno), Brno, Střed

GPS
49°11'46.0"N 16°36'22.4"E

Literatur
Martina Straková, Dílo architekta Bohumíra Čermáka (1882–1961) (diplomová práce), Brno 2002, S. 38.
Martina Straková, Uměleckořemeslné dílny architekta Bohumíra Čermáka v Brně, Brno v minulosti a dnes, Brno 2003, S. 217–241.
Pavel Zatloukal, Brněnská architektura 1815–1915. Průvodce, Brno 2006, S. 221.


Quellen
https://www.pamatkovykatalog.cz/mestsky-dum-18626592
Gemeinde-Verwaltung und Gemeinde-Statistik der Landeshauptstadt Brünn. Brünn: Verlag des Stadtrates der Landeshauptstadt Brünn, 1913, roč. 19, s. 227 a 424. (Záznam o dokončených novostavbách domů Česká 13 a 15)
AMB, U 9, kart. 12, Česká 13, plánová dokumentace
AMB, U 9, sloha 2 VF a kart. 12, Česká 15, plánová dokumentace.
Brünner Zeitung, 2. 2. 1913, s. 4. (Povolení k demolici starého domu Česká 13)
Brünner Zeitung, 9. 2. 1913, s. 4. (Záznam o prodeji domu Česká 13; Stanislav Neděla a Julius Keer kupují od Matildy Medřické a jejích dětí)
Brünner Zeitung, 16. 2. 1913, s. 4. (Povolení Stanislavu Nedělovi a Juliu Keerovi ke stavbě třípatrového NJ na České 13)
Brünner Zeitung, 18. 6. 1913, s. 2. (Povolení Anně Vlkové k úpravě fasády novostavby domu Česká 15)
Brünner Zeitung, 7. 9. 1913, s. 3. (Povolení ke zřízení obchodních prostor v novostavbách domů Česká 13 a 15)