Kolonie Neues Haus

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Im Jahre 1928 fand auf dem neu errichteten Landes-Messegelände in Brünn anlässlich des zehnten Jahrestages der Gründung der Republik die Ausstellung zeitgenössischer Kultur in der Tschechoslowakei statt. Bestandteil dieses umfangreichen architektonischen Projekts war auch die Ausstellungskolonie „Nový dům“ („Neues Haus“) im Brünner Stadtteil Žabovřesky (Sebrowitz), wo nach Entwürfen führender heimischer Architekten eine Gruppe von sechzehn kleinen Einfamilienhäusern mit ökonomischem Bauprogramm entstand. Die Kolonie knüpfte an ähnliche europäische Projekte an, von denen eines der bedeutendsten die Stuttgarter Weißenhofsiedlung war, die im Jahre 1927 nach dem urbanistischen Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe im Rahmen der Ausstellung „Die Wohnung“ erbaut worden war.
Die Brünner Variante, die von den privaten Baumeistern Čeněk Ruller und František Uherka initiiert und vom „Verband des tschechoslowakischen Werkes“ gefördert wurde, sollte modernen individuellen erschwinglichen Wohnraum für die mittlere Gesellschaftsschicht mit vorgegebener Höhe und kubischer Form der Häuser präsentieren. Eines der Ziele der Organisatoren war es, einen Raum für eine experimentelle Bauweise zu schaffen, die versuchen würde, sich mit Fragen hinsichtlich neuer Materialien, Konstruktionen sowie Innovationen bezüglich Raumaufteilung und Grundriss beim Bau von Einfamilienhäusern zu beschäftigen. Auf einem ausgewählten Grundstück unterhalb des Wilson-Waldes nahmen Bohuslav Fuchs und Jaroslav Grunt auf Grundlage der Grundrisse der Häuser, die von neun Architekten abgegeben worden waren, die Planung und Parzellierung des Gebietes vor. Die Häuser wurden locker im Randbereich des keilförmigen Grundstücks angeordnet, in der Mitte befand sich die Fläche eines gemeinsamen Parks, der heute in umzäunte private Gärten aufgeteilt ist.
Davon, wie problematisch jedoch die Akzeptanz der progressiven Gedanken der neuen Architektur seitens der Öffentlichkeit war, zeugen die Probleme, die sich beim Verkauf der Häuser während der Ausstellung zeitgenössischer Kultur in der Tschechoslowakei zeigten. Besonders die Innovation hinsichtlich der veränderten funktionellen Verteilung der Innenräume stieß auf ein unvorbereitetes Publikum. Die Baumeister ersuchten deshalb die Architekten, mit der Auszahlung der Honorare zu warten, da mehrere Monate nach der Eröffnung der Ausstellung immer noch kein Haus verkauft worden war: Die Ausstellung modernen Wohnens wird geschlossen, falls nicht eine Verlängerung derselben bis Ende November dieses Jahres [1928] erlaubt wird. Eine Verlängerung bringt sicherlich nicht mehr als bisher, besonders die Werktage werden sehr schwach ausfallen, und an den bisherigen Ergebnissen ist der absolute Misserfolg der gesamten Veranstaltung zu sehen. […] Wir hatten die besten Absichten, die Gebäude sind für den Verkauf geeignet, bis jetzt wurde jedoch nicht ein einziges Haus verkauft und Interessenten gibt es sehr wenige, so sehr wir uns auch bemühen, die Häuser sowohl mittels Inserierung als auch mithilfe von Vermittlern auf den Markt zu bringen, steht im Brief der Baumeister Ruller und Uherka, adressiert an Jaroslav Grunt.
Das Schicksal der Kolonie in der Nachkriegszeit war um nichts glücklicher. Die kleinen, für junge Familien gedachten Einfamilienhäuser mit ihrer räumlich begrenzten Verfügbarkeit wurden unter dem Sozialismus von mehreren Generationen gleichzeitig genutzt, was zu einer Reihe von Umbauten und schwerwiegenden Eingriffen in die ursprüngliche Konzeption der Bauten führte. Eine große Rolle spielte dabei auch der bis dahin nicht existierende Denkmalschutz der Objekte sowie des urbanistischen Gesamtkomplexes der Kolonie. Heute ist ihr Aussehen deshalb stark verändert und einzelne Häuser sind nur noch schwer zu erkennen.