Bezirkskrankenkasse

C261

Anfang der 20er Jahre entschlossen sich die Vertreter der Bezirkskrankenkasse, ein repräsentatives Gebäude als neuen Sitz der Institution errichten zu lassen. Nach der Fusion mit der Allgemeinen Arbeiter- und Hilfskasse erhöhte sich die Zahl ihrer Klienten und die bisherigen Räumlichkeiten in der Francouzská-Straße reichten nicht mehr aus. Die Bauherren wandten sich an Jindřich Kumpošt, der im Jahre 1922 einen Entwurf zur Bebauung des Grundstückes an der Straßenecke Zahradníkova-Nerudova ausarbeitete. Die Bezirkskrankenkasse entschloss sich die staatliche Förderung im Rahmen des Gesetzes über Bautätigkeiten zu nutzen, deren Bedingungen den Ausbau von Mietwohnungen in zwei Dritteln des Gebäudes vorsahen. Im sechsgeschossigen Objekt waren deshalb die Räume von Büros und Arztpraxen nur im erhöhten Erdgeschoss und im ersten Stock untergebracht, die restliche Gebäudefläche nahmen 56 Wohnungen ein.
Der A-förmige Grundriss kopiert die Straßenecke Zahradníkova-Nerudova. Der monumentale Block enthält zwei Höfe, die durch einen einstöckigen Verbindungsflügel getrennt waren, in dem sich Labors und der Sitzungssaal der Krankenkasse befanden. Kumpošt benutzte eine progressive Konstruktion aus Stahlbetonpfeilern, die es ihm erlaubte, die Dicke der Außenmauern von 100 auf 45 cm zu reduzieren und dadurch die Bauarbeiten wesentlich zu beschleunigen, sodass diese nur ein Jahr dauerten. Das Konstruktionssystem zeigt sich auch an der Fassade: diese wird bis zur Höhe des dritten Stocks von Säulen gebildet, die von herausragenden Deckenbalken unterbrochen werden. In Höhe des vierten Stockes befindet sich ein durchgehender Balkon, der sich noch einmal im obersten Geschoss wiederholt; dieses war ursprünglich nach dem Muster von Mansardendächern mit gebrannten Mönch- und Nonnenziegeln bedeckt.
Der Haupteingang befand sich in der Fassade an der Ecke und war durch die vorversetzten Säulen mit den Plastiken kniender Figuren des Bildhauers Václav Mach stark akzentuiert; diese Statuen sollten die soziale Mission der Krankenkassen symbolisieren. Die markante vertikale Gliederung und die plastischen Elemente an der Fassade weisen auf den Einfluss des deutschen architektonischen Expressionismus und des tschechischen Nationalstils hin. Gleichzeitig zeigt sich in dieser Gestaltung das benutzte Konstruktionssystem, es handelt sich hierbei also nicht nur um bloßes dekoratives Beiwerk. Einen expressiven Charakter verliehen dem Gebäude nicht nur Machs Statuen, sondern auch der rote Anstrich der Fassaden. Seine Verwendung rührte von den damaligen Diskussionen und der Verteidigung der Farbigkeit von Fassaden her, die in Opposition zum ausdruckslosen Grau der Bauten aus den Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie stand.
Das Gebäude stellte zu dieser Zeit den am modernsten ausgestatteten Bau der Tschechoslowakei dar. Außer einer Zentralheizung gab es hier ein Rohrpostsystem für eine schnelle Kommunikation zwischen den einzelnen Abteilungen, eine perfekte Ausstattung in den Arztpraxen, vier elektrische Fahrstühle und eine automatische Telefonzentrale, die 75 Telefone miteinander verband.
Im Jahre 1928 wurde an die Bezirkskrankenkasse nach Kumpošts Entwurf das Gebäude eines Ambulatoriums (Zahradníkova 2) angebaut, wo ambulante Kliniken und eine chirurgische Abteilung eingerichtet wurden. In den 50er Jahren fielen beide Gebäude unter die Verwaltung des Städtischen Instituts für nationale Gesundheit in Brünn, und es begann eine Etappe schrittweiser, nicht rückgängig zu machender Adaptionen des Innenraums. Heute gehört das Objekt der Stadt Brünn und dient ausschließlich medizinischen Zwecken. Alle 56 Wohnungen werden als Praxen oder Warteräume benutzt, was einer Herabwürdigung des ursprünglichen durchdachten Grundrisses gleichkommt: der Innenraum hat sich in eine Reihe dunkler Flure und abgeschirmter Räume verwandelt, die den Eindruck einer provisorischen Gestaltung erwecken.

PH

 

Name
Bezirkskrankenkasse

Datierung
1922 – 1924

Architekt
Jindřich Kumpošt

Route
Veveří / Eichhorn 1918–1945

Kode
C261

Typ
Verwaltungsgebäude, Mehrzweckgebäude

Adresse
Nerudova 321/11, Zahradníkova 321/6 , (Veveří), Brno, Střed

Öffentlicher Verkehr
Nerudova (TRAM 12)
Rybkova (TRAM 3, 11)
Konečného náměstí (TROL 25, 26)


GPS
49°12'22.832"N, 16°35'42.725"E

Literatur
Petr Pelčák, Ivan Wahla (eds.), Jindřich Kumpošt 1891–1968, Brno 2006
Rostislav Koryčánek, Česká architektura v německém Brně. Město jako ideální krajina nacionalismu, Brno 2003