Die Villa auf einem ausgedehnten Grundstück im Schreibfelder Hang entwarf der Architekt Ernst Wiesner im Jahre 1927 für den bedeutenden Brünner Textilfabrikanten Alfred Stiassny und seine Frau Hermine. Die Familie Stiassny besaß in Brünn viele Villen und Mietshäuser. Diese repräsentative Residenz, die in sich eine progressive architektonische Konzeption und bürgerliche Tradition verbindet, gehört jedoch zu den bedeutendsten. Das kaskadenförmige Volumen der Villa, von zwei Quadern auf einem L-Grundriss gebildet, ist tief in den abhängigen Garten eingebettet. Von der Hroznová Straße ist sie nur durch ein niedriges Eingangstor zugänglich, das von der Chauffeurwohnung gebildet wird. An das Tor knüpft eine Allee an, die zu einem zentralen Hof führt; dieser ist vom ebenerdigen Trakt mit Garagen, der Stützmauer und dem Volumen der Villa festgelegt. Der Haupteingang ins Haus ist durch einen Balkonportikus akzentuiert und unterteilt den Hausgrundriss in zwei funktional abgetrennte Teile: Wohnräume befinden sich im rechten Flügel, Bedienstetenräume wurden links angesiedelt. Den Kern des Wohnflügels bildet eine Galerie mit einer massiven einarmigen Treppe in der Halle, von der auch die Gesellschaftsräume und das Esszimmer zugänglich sind. Im ersten Stock wurden die Schlafzimmer der Familie Stiassny, das Spielzimmer der Kinder und das Zimmer des Kindermädchens untergebracht. Der Betriebsflügel des Hauses ist um die Diensttreppe orientiert, die allerdings auch großzügig angelegt wurde. Neben Zimmern fürs Personal befanden sich hier eine Küche, eine Bügelstube und ein Kofferlager. Die Villa ist konstruktiv in zwei von Stahlbetonpfeilern getragene Trakte unterteilt. Zum geschlossenen Hof hin sind die Bedienstetenräume orientiert, in den Garten führen die Wohnräume mit einer angeschlossenen Terrasse. Eine größere Verbindung von Haus und Garten verhindern allerdings niedrige Fensterbrüstungen und auch die Änderungen aus den 80er Jahren des Architekten Kamil Fuchs, dem Autoren der Verglasung der monumentalen ebenerdigen Loggia. Wiesners puristischem Exterieur widersprechen historisch wirkende Interieurs, die der Architekt Franz Wilfert aus Wien für die Familie Stiassny entwarf. Die dekorative Gestaltung der Innenräume (Stuck, Kassettendecken, Marmorkamine, pseudohistorisch wirkende Möbel) und ihre Gliederung entsprach wahrscheinlich dem Geschmack der Bauherren, der Gesamteindruck des Hauses verschiebt sich deswegen allerdings vom Funktionalismus eher zu klassizistisch wirkenden Tendenzen. Im Jahre 1939 wurde die Villa von der deutschen Staatspolizei beschlagnahmt und nach dem Krieg ging sie in die nationale Verwaltung über. Im Jahre 1952 erwarb der Kreisnationalausschuss die Villa auch mit dem weitreichenden Grundstück, und nutzte sie bis in die 90er Jahre zu repräsentativen Zwecken und zur Unterkunft von Staatsbesuchen in Brünn. Zu dieser Zeit gastierten in der „Regierungsvilla“ eine Reihe von bedeutenden Staatsmännern und kommunistischen Funktionären. Während der Normalisation wurde nach den Entwürfen von den Architekten Kamil Fuchs und Adéla Jeřábková auch das Hausinterieur adaptiert, es wurden luxuriöse Marmorbäder zu den einzelnen Zimmern hinzugefügt und die Gesellschaftsräume wurden mit unförmigen Möbeln aus der Zeit ausgestattet. Manche Räume wurden mit weiterem, ursprünglichem Schlossmobiliar gefüllt, das die schwerfällige Hypertrophie der Innenausstattung noch betonte. Nach dem Jahr 1989 erstand die Firma Fair Travel Brno die Villa und nutzte sie für Geschäftsverhandlungen − gelegentlich wurde sie auch zu verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen vermietet. Heute verwaltet das Haus das Nationaldenkmalinstitut und man beabsichtigt in der Villa ein methodisches Zentrum für die Rekonstruktion der Denkmäler der modernen Architektur zu errichten.
Villa Stiassni
Name
Villa Stiassni
Datierung
1927 – 1929
Architekt
Ernst Wiesner
Route
Masaryk-Viertel 1918–1945
Kode
C045
Typ
Einfamilienhaus, Villa
Adresse
Hroznová 82/14,
(Pisárky), Brno, Střed
Öffentlicher Verkehr
Marie Pujmanové (TROL 38)
Pisárky (TROL 25, 26, 37; BUS 44, 52, 68, 84)
Pisárky (TRAM 1)
GPS
49°11'49.033"N, 16°34'23.087"E
Literatur
Petr Pelčák,
Ivan Wahla (eds.),
Ernst Wiesner 1890–1971,
Brno 2005, Lenka Kudělková - Architekt E. Wiesner, S. 8
Jan Sedlák (ed.),
Slavné brněnské vily,
Praha 2006
Quellen
https://pamatkovykatalog.cz/vila-stiassni-18729267